Die Sommerwerkstatt des Wandels 2024 

28.08. – 04.09.2024
Bei NeuamSee e.V. Brandenburg 
Mit Unterstützung von TONALi.e.V.

Ein mehrstimmiger Bericht der Sommerwerkstatt

In der Werkstatt des Wandels tasteten sich 20 Menschen aus ganz unterschiedlichen Forschungsrichtungen an einen großen Themenkomplex heran:
 
  • Gesellschaftlicher Wandel
  • Verwebung als Paradigmenwechsel
  • Überbrückung disziplinärer und epistemologischer Grenzen
  • künstlerische Co-Kreation als Praxis eines Pluriversums
 
Ein gemeinsamer Atemprozess in dem das Leichte und Spielerische direkt bei dem Ernsthaften,Traurigen und Schmerzhaften sein konnte. Ein Labor für neue Kunst, Wissenschaft und Aktivismus.
Eine große Reise in Verflechtungen, und Brüche, Grenzen und Membranen, die in und um uns sind.
Und der Beginn eines künstlerischen Wesens, das aus unserem Gemeinsamen entstanden ist und weiter wandeln wird.
Im ersten Teil der Woche teilten uns sammelten wir unsere Fragen und kreativen Ansätze. Einige Beispiele:
Wie kann ich meine Wahrnehmung von Verwobenheit in künstlerischer Arbeit einkochen, damit es anderen Menschen zugänglich wird und für die eigene Wahrnehmung sensibilisiert?
Wie können wir mit dem Klima improvisieren – d.h. Beziehungsarbeit leisten?
Wie können wir dem Nicht-wissen gegenüber̈ offen bleiben und gleichzeitig Kritik am Bestehenden äußern?
 
Wie können (wieder) utopisches Denken lernen?
Es wurden Workshops zum verwobenen Schreiben, zu Wandelmodellen, zum „säkulärem Mystizismus“, Jam-Sessions, zur Tiefenökologie und vieles mehr von den Teilnehmenden gehalten. In der Mitte der Woche überschritten wir die Schwelle vom Sammeln zum Kreieren mit einem feierlichen Performancewalk. Die zweite Hälfte der Woche war ganz dem künstlerischen Prozess gewidmet: Die Materialisierung dieses verwobenen Prozesses, die nach Abschluss der Sommerwerkstatt in verschiedenen Kontexten gezeigt werden kann und sich immer weiter entwickelt. Was ist entstanden? Ein Spiel, das von Verwebung erzählt. Ein Austellungskonzept, das in den nächsten Monaten weiterreifen wird. Eine Community, die die vielen kleinen und großen Früchte in ihre verschiedenen Arbeitsberiche tragen kann.
Sommer. Brandenburg
Der See; ein farbenprächtiges Hochzeitszelt; das Baumhaus, die Sonnenuntergangsschaukel; die Tische wo wir jeden Tag, von lieben Menschen bekocht, zusammen schmausen werden. Und tief im Wald die Darmwindung des Daseins und die Rehfalle in der Schusslinie des Hochsitzes.
Dieser Ort wird in den nächsten Tagen Teil an unserem kreativen Prozess haben, sich auf seine subtile Weise in unseren Prozess und unser Kunstwerk einschreiben. 
Wir, das heißt: drei Hosts, die in den zwei letzten Jahren dieses Projekt ins Leben gekitzelt haben; die beiden Menschen die den Prozess filmisch festhalten; die Teilnehmenden aus allen möglichen thematischen Ecken; und die tollen Kochenden, die so viel ihrer Zeit dieser Tage dafür aufwenden, unsere Bäuche zu füllen.

Tag 1 - Willkommen heißen

Musik eröffnet. Das ist gut, das macht Luft in alle Seiten und gibt Stille am Anfang. 5 Minuten nur lauschen.

Hallo sagen. Nach so vielen Monaten Vorbereitung sitzen da plötzlich echte Menschen. Wir drei grinsen uns an, äh, jetzt bin ich offenbar dran, was zu sagen, was nochmal – Herz klopft glücklich und zu laut, Kopf flackert, – ah ja! Herzlich willkommen!

Ich erzähle von der Verwebung, ohne sie zu definieren: ich weiß ja selbst nicht, was sie ist. Und ich erzähle von der Co-Kreation. Als Praxis der Verwebung, des Zuhörens von dem, was zwischen uns entsteht. Dieses ominöse X, weil noch niemand weiß, welche Form dies annehmend wird.  

Warum bin ich hier? Und warum bin ich wirklich hier? (for real!) Was können wir machen, jetzt in der Welt? Wie Überforderung und Erdtrauer gemeinsam begegnen? Und dieser fetten Liebe zum Leben!

Unter Bahnen aus grünem, rotem, golden besticktem Stoff sitzen Menschen, lassen sich vom Wind umspülen und legen etwas von sich zu den Geschichten, die der Wind in unseren Kreis trägt. Ehrlichkeit. Ameisen. Schönheit. Pathos. Wind. Fragen. Ameisen. Noch mehr Fragen und Menschen, die sich zeigen. 
Ich verliere mich in Träumen von den Tagen, die noch kommen werden, lasse mich vom Wind umspielen und spüre, dass da was kommt, was ich nicht verstehen werde. Vielleicht bin ich deswegen wirklich hier.

Tag 2 - Ankommen: in der Gruppe, im Thema, im Körper.

Die ersten paar Tag sind voll, gestopft, lebendig dicht, vibrieren ein bisschen. Die Open Spaces, die von allen Teilnehmenden eröffnet werden können fordern, flirren. Abends ernten wir gemeinsam, teilen unsere Eindrücke. Oft spinnt sich ein Netz, merken, wie sehr unsere Eindrücke aneinander anknüpfen.

Es wuppt. Das Schiff nimmt Fahrt auf, ich bin nur ein kleiner Pups auf ihm. Auch entspannt.

Als die Forschungsfragen aufgeschrieben werden, wird mir erstmal ganz schwindelig. Meine Host-Fühler nehmen einen gewissen Nebel auch in der Gruppe wahr. So viele große Themen.

Ich meine; „wie können wir in einem kapitalistischen, imperialistischen, patriarchalen System Abhängigkeit und Handlungsmacht vermitteln?“ Hui.

Und „wie können wir spannende Geschichten aus der Verwobenheit heraus erzählen, die nicht hippiemäßig in einer Blase rumdümpeln?“ Joar. Let´s go, würd ´ ich sagen.

Jeden Abend eine Action, um den Kochenden die Energie zurückzugeben! Heute, meine sehr verehrten Wesen und Wesigkeiten, die Mamphonie des Gabsbabschos!

Tag 3 - Wo braucht es Weite, wo braucht es Tiefe?

„Dein Geheimnis über die Verwobenheit des Lebens darf so richtig geheim sein. Was du jetzt aufschreibst, wird nie jemand lesen. Vielleicht denkst du dir, hä, was soll ich für ein Geheimnis haben zum Thema Verwobenheit des Lebens – wenn du gleich anfängst zu schreiben, lass dich überraschen, da kommt was.

Wo im Körper befindet sich dein Geheimnis? Beginne, dich von dieser Stelle aus zu bewegen.

Welches Gewicht hat dein Geheimnis? Welche Dynamik? Hat es eine Farbe?“

Die Gruppe verändert sich: es gibt Fragen nach mehr Freiheit, nach mehr Zeit. Die Gruppe emanzipiert sich. Das merkt man erst, wenn man den Abgleich mit einem Plan hat. Wie hostet man Transformation?

Tag 4 - Samstag Wie feiern wir Verwebung?

Es ist mir eine unsägliche Ehre, sie anzukündigen –
die Feierung der Verwebung!
die Zeremonie zwischen –
allem was war | und | allem was kommt
den feierlichen Übergang vom Sammeln
zum Co-Kreieren
… es ist eine Schwelle, eine Transformation
another space in between, 
ein Overgääng!

Ein einrädriges Gefährt rollt in fulminantem Schwung ins Zentrum eines Kreises, ein wunderliches Wesen thront dort oben und schwebt vorbei an Menschen, Raum und Zeit: Das Ortrakel von Selfie. Mit viel blim blum lässt es die Kleingruppen Orte finden. Es dauert bis die Prophezeiungen aus dem See in die Lüfte, durch die Wipfel in das Ortrakel und endlich an die Ohren der Geschichtensammler:innen schweben. Und dann plötzlich Stille, weil alle irgendwo auf dem Gelände verstreut sind und geheime Dinge vorbereiten.

Es macht mich krass glücklich, zu improvisieren und so bekloppt sein zu können, wie ich bin.

Wir schaffen füreinander Performances, immersive Spiele und Galeriegänge an unterschiedlichen Orten tief im Wald. Wir werden auf einem Eisberg sitzend von vielköpfigen Zauberwesen verzaubert, lassen in der Darmwindung des Daseins das los, was gehen darf und nehmen im nicht-linearen Leben aus dem was andere losließen das auf, was wir gebrauchen können. 

Wir toben uns aus in einem Spiel, das auf wunderliche Weise eine Metapher der Gleichzeitigkeit von sinnvollen und sinnlosen Vorgängen ergibt. 

Schließlich begegnen wir in einem Stillen Selbstgespräch mit dem Wald der Gegenwart des Todes.

They ask us to close our eyes and tune in to the forest. Then they wake us up one by one for a journey alone. I sit for about ten minutes, listening to the sounds around me. Twigs fizzle like Kaktuseis, old wood squawks as it shifts. A tap on the shoulder, a face blanched by sunlight. A sign propped between two trees reads “Was stirbt?”. I see people ahead of me, trailing like ants. I feel an incredible softness.

Ich will eigentlich einfach nur hier sitzen und diese kitschigen Naturbetrachtungsworte in mir genießen und das Moos, das mich trägt.

Die Performancestationen hauen mich um. Warum so viel Sterben? Was hat dieses Thema für unseren Prozess zu geben? Wundersam.

Die Pizza braucht noch so lang, ich mache ein Nickerchen am See. Aufgewirbelte Erschöpfung.

Tag 5 - Wie können wir dem Entstehenden lauschen?

Sonntagsstimmung, das Wetter ist herrlich. Wir bereiten einen riesigen Ernte-Altar vor, der überhäuft ist mit den Nuggets und Learnings und Inspirationsmomenten der letzten Tage. Was blubbert es da heraus? 

Wir lassen Gären, spüren in das wabernde Etwas zwischen uns hinein.    

Wie soll jetzt alles, was wir gesammelt haben plötzlich gebündelt werden, sichtbar und anschlussfähig für Menschen, die hier nicht dabei waren? Ist ein Kunstwerk dafür überhaupt die richtige Form?

Was soll sie überhaupt sein diese ominöse Kunst? Ist sie ein Zustand, ein Spiel eine Flucht? 

Ich hab keine Lust auf den Druck, die ästhetischen Klischees und das elitäre Gehabe.

Kann Kunst nicht einfach lauschen? Es brodelt so stark unter der Oberfläche und über den Wipfeln der Bäume. Würde es nicht ausreichen ein klein wenig dieses Brodelns an andere, ferne Ohren zu tragen, um sie überflüssig zu machen, diese Fragen nach der Kunst?

Eine Diskussion, welches sich mit dem Fallen eines Stiftes in eine wilde Improvisation verwandelt:
Es wird gekämpft, ein Loch gebuddelt, der Harvest verschwindet (wohin eigentlich??) während sich in der Mitte zwei gegenüber sitzen und ansehen, Erde auf Köpfen, Erde im Mündern, und Kartoffelchips, das Ganze wird gegossen, die Chipstüte tut auch ihr Werk, Fäden werden gespannt – aus Garn und aus Klebeband – und mit der Schere wieder durchtrennt, zwei sitzen sich gegenüber, alles wird unter freien Himmel getragen und findet dort irgendwie… irgendwann ein Ende.


Nach der Impro wünsche ich mir 20 Jahre Host-erfahrung. Ohje – was macht man nach einer Explosion? Aufräumen, alle wieder einsammeln, einchecken, puh, alles noch dran. Ich staune einmal wieder über Menschen und ihre Energiepotentiale, die so oft so lang still heimlich unter der Oberfläche blubbern, bis einmal die Gelegenheit kommt zum hochsprudeln.

 

Tag 6 und 7 - Wie geht co-kreieren? Wie will das Begonnene in dieWelt?

…Und schaffen in den folgenden Tagen den Beginn eines gemeinsamen Kunstprojektes. Zeichnen ein paar schemenhafte Umrisse und schlagen aneinander ein paar Lebensfunken.

Danach verbringen wir zu dritt den Abend damit zu rätseln: Sind wir auf der richtigen Spur? Brauch es ein rekalibrieren? Produzieren wir nur etwas was wir uns selbst ausgedacht haben, oder hören wie noch zu? Ist es das nun: MIT-gestalten? Ohne Antworten ins Bett.

„Erkenne Muster und vervollständige diese“, steht auf meiner Spielkarte, was steht bei dir?

Wie kann das Kunstwerk nicht versuchen, zu erzählen, was Verwebung ist – wir haben ja keine einheitliche Definition. Stattdessen ist dieses künstlerische Etwas eine Zeugin unseres Prozesses, der auf Verwebung basiert.

(times new roman) Wir improvisieren eine kleine Symphonie zu Ehren der nicht ausprobierten Ideen, verworfenen Pläne und noch schlummernden Samen – die gemeinsame Woche ein Wurzelwerk – was wird über der Erde sichtbar für Andere?

Und dann ist da etwas! Ganz unfertig. Ein Spiel, Interviews, eine größere Vision für eine Ausstellung. Hüte werden verteilt, Potentiale erkundet. 

Tag 8 - Wie können wir Brücken in die Zeitnach der Werkstatt schlagen?
Wie können wir Abschied nehmen?

Müde und wach. Erfüllt und keine Worte mehr übrig, aber Umarmungen. Danke sagen, Danke hören. Ein letztes Mal den See besuchen. Zug. Hause. Overgäng.
 
Zum Abschied umarmt uns der See und wir einander. 
Eine Woche lang miteinander verwoben. Was wird zu Verbindung? Was bricht?
 Was daraus wird, werden wir einander zeigen.

Was ist Verwebung eigentlich? Auch nach dieser Woche kann ich es nicht beim Kragen packen und sagen: Du also! Ich bin glücklich darüber. Vielmehr rückt es noch näher an einen Ort in mir, der es als völlig selbstverständlich und absolut wundernswert zugleich befindet, Teil dieses kontaminierten Netz des Lebens zu sein und darin zu tanzen.

Ich bin noch neugieriger geworden über kollektive Kunstprozesse: vor allem darüber, wie man kollektiv dem Entstehenden zuhört, ohne sofort wieder die altbekannten Autobahnen der Ideenproduktion zu betreten. Ungemütlicher Ort – da, neben der Autobahn, ohne schon den eigenen Weg zu kennen. 

Ich bin noch viel überzeugter von der Kraft der Musik, der Worte und der Präsenz Räume mit offenen Decken aufzumachen und solche Prozesse zu halten. 

Wir laufen noch einmal über den Platz mit kümmernden Augen. Alles da, wo es war? Es ist windig heute, und das Licht ist so golden. Der Wind pustet alles aus mir heraus, die Hostingrolle weg, in den Boden. In den Superhost. Das goldene Licht weist in Richtung Herbst. Und Ernten, und Ausruhen, Feiern.

Danke an alle, die uns auf diesem Weg begleitet und untersützt haben. Danke für das Vertrauen der Teilnehmer:innen. Danke NeuamSee und danke TONALi!

Die Reise ist nicht vorbei.

Gerade sind in Arbeit: der künstlerisch-dokumentarische Film, der Einblick in diesen Prozess gibt.

Die Weiterentwicklung des Spiels, das in der Mitte der Woche entstand und danach weiter geführt wurde.

Eine Ausstellungsgruppe arbeitet daran, das rahmende Konzept für das Spiel weiter zu entwickeln und im neuen Jahr Ausstellungsorte und Partnerschaften zu finden. Wenn Du Orte kennst oder selber hostest, die hierfür in Frage kämen, sind wir glücklich über eine Nachricht an kontakt@werksattdeswandels.com.